Finns Welt - 01 - Finn released by Uschmann Oliver

Finns Welt - 01 - Finn released by Uschmann Oliver

Autor:Uschmann, Oliver [Oliver, Uschmann]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-01-24T16:00:00+00:00


DIE GLEISE

»Deutschland ist voll zugewachsen«, lästert Lukas, als wir aus dem Gebüsch treten. Er zerrt an ein paar dünnen, gummiartigen Strippen herum, deren Blätter von unten klebrige Widerhaken haben. Zieht man sie gegen den Strich ab, schneiden sie wie tausend kleine Klingen in die Haut. Die Wildnis hier ist anders als im Wald. Eben haben wir uns noch gefragt, warum. Jetzt wissen wir es: Es ist die Wildnis, die am Rand von Schienen wächst.

»Hindernis Nummer vier«, sagt Lukas und Flo erwidert: »Nummer sechs.«

»Wieso denn Nummer sechs?«

»Der Garten von Frau Schepers, der Acker von Bauer Brockmeyer …«

»Du zählst das schon als Hindernisse? Das war doch gar nichts.«

»Soll es keins sein, bloß weil es leicht ist? Oder würdest du auch sagen, ein Treffer zählt nicht, wenn der Stürmer aufs leere Tor zielen konnte?«

Lukas schürzt die Lippen, als wolle er sagen: Respekt, das war echt ein gutes Argument. Er macht einen Schritt Richtung Gleisbett. Zwei Schienenpaare führen hier entlang. Zwischen Gestrüpp und Bahnschotter sind knapp zwei Meter Platz. Lukas fährt mit der Hand durch den Blütenschopf eines Unkrauts.

»Finger weg!«, sage ich und er lässt los. »Das ist Bärenklau. An dem Strunk verbrennst du dir die Haut. Zumindest, solange die Sonne draufscheint.«

Lukas zeigt auf mich, schaut aber Flo an. »Wann hat dem eigentlich ein verrückter Professor den Kopf aufgeschnitten und alles Wissen der Welt reingekippt?«

»Und vor allem: Warum hat er ihn nur halb zugenäht, sodass alles immer von alleine rausfällt?«, setzt Flo noch einen drauf und sie lachen.

»Hey!«, sage ich. »Das ist unfair! Ich warne euch und als Dank verbündet ihr euch gegen mich!«

Wir gehen weiter. Ich weiß auch nicht mehr als andere, ich vergesse eben nur weniger. Was kann ich denn dafür, so ticke ich nun mal. Dafür hat Lukas schon eine Freundin.

»Das ist cool hier«, sagt Lukas, »das erinnert mich an diesen uralten Film, wo die Jungs an den Gleisen eine Leiche finden. Kennt ihr den? Stand by Me heißt der, glaube ich. Das ist cool.« Ich kann seine gute Laune verstehen.

»Ja«, sage ich, »Gleise sind cool. Die geben viele Punkte, oder Flo? Die machen als Hindernis echt was her, aber gleichzeitig sind sie pupsleicht.«

Ich stelle meinen Rucksack ab, um die Flasche Wasser rauszuholen, blicke dabei nach links und erstarre, als ich ungefähr dreihundert Meter entfernt einen Mann auf dem Boden sehe. Er kriecht auf Knien an die Schienen heran. Es sieht aus, als wolle er seinen Hals auf den heißen Stahl legen und abwarten, bis ein Zug kommt und ihn köpft.

»Was hast … ach du Scheiße!« Lukas sieht es jetzt auch. Flo steht schweigend da, den Mund weit offen. Dann sagt er: »Das ist außerhalb unseres Korridors.« Der Satz schwebt vor uns durch die Luft, treibt in den giftigen Bärenklau und zerstäubt in viele kleine Teile.

»Das hast du jetzt nicht ernsthaft gesagt, oder?«, frage ich ungläubig.

»Ja, was denn?«, entgegnet Flo und seine Stimme zittert. »Du hast doch gesagt, dass wir uns an das Regelwerk zu halten haben. Der Kiosk war bloß zehn Meter nach links. Sechseinhalb, wenn man …«

»Der Typ will sich umbringen!« Ich blitze Flo wütend an.



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